Architektur im Aquarell, Teil 1

Gerhard Hillmayr: Tarifa, 32 x 41 cm

Eine Technik, charakteristisch für fließende Farbe und spontanen Pinselduktus und ein Motiv mit präzisen Kanten und Formen sowie einer nahezu undefinierbaren Detailfülle – passt das zusammen? Gerhard Hillmayr zeigt in seiner Technik-Anleitungs-Serie wie Architektur und Aquarellmalerei funktionieren können.

von Gerhard Hillmayr

Architektur und Aquarell – ein Widerspruch, der die Herausforderung der Architekturmalerei im Aquarell verdeutlicht und bewusst werden lässt, dass hier Kreativität gefordert ist, will man, in diesem Fall Gebäude, malerisch interpretieren. Doch wo liegt das Problem? Ein geübter Blick und Zeichenkenntnisse, so würde man meinen, garantieren den Erfolg. Zweifelsohne sind dies wichtige Voraussetzungen, strebt man jedoch über die detailgetreue Darstellung hinaus eine künstlerische Interpretation an, sind andere Kriterien zu beachten. Für Aquarellmaler bedeutet dies, eine möglichst interessante Balance zu finden zwischen Medium und Motiv – ein wechselseitiges Spiel zwischen den Eigenschaften des Aquarells und den Charakteristiken der Architektur. Dabei sind der Kreativität kaum Grenzen gesetzt und allein die eigene Vorstellung ist maßgebend. Wie weit man im Bestreben einer künstlerischen Interpretation die Dinge abstrahiert und verfremdet, ist eine individuelle Entscheidung. Meine Empfehlung ist, sich in kleinen Schritten nach und nach heranzuarbeiten und Erfahrung zu sammeln; mit der Praxis kommen dann auch die Ideen. Auf Effekt bedachte Verfremdungen überzeugen nur selten.

 

Abb. 1: Gerhard Hillmayr: Pinselzeichnung, 32 x 41 cm

Beginnen wir mit den Grundlagen und das sind, wie bereits erwähnt, Zeichenkenntnisse. Beim Aquarellieren scheitern oft auch erfahrene Zeichner an der vom klassischen Zeichnen gewohnten Präzision. Fast ebenso aufwändig wie Zeichnen lernen ist es, wieder von den Zwängen der oft im Zeichenunterricht forcierten Gegenständlichkeit wegzukommen und zu abstrahieren. Ein Weg kann das Zeichnen mit dem Pinsel sein, gleichzeitig ist es die Brücke von der Linie zum Aquarell. Aquarellmalen ist beides, Zeichnen und Malen. Die Pinselzeichnung (Abb. 1) zeigt wie eine Übung aussehen kann. Wichtig dabei ist, dass man ohne jegliche Vorzeichnung arbeitet.

Abb. 2: Festung, Lacoste,
Foto: Gerhard Hillmayr:

Dies schult das Auge sowie die Konzentration und man entwickelt eine sichere Pinselführung. Ganz wichtig, durch die Verwendung von Tusche oder schwarzer Farbe schult man den Blick auf die Tonwerte: Weiß muss ausgespart bleiben, Grauabstufungen wirkungsvoll getroffen werden. Um der Versuchung einer detailgetreuen Ausarbeitung vorzubeugen und einen spontanen Pinselduktus zu entwickeln, sollte man sich ein klares und kurzes Zeitlimit setzen. Wertvolle Erfahrungen dabei sind Kompromissbereitschaft und Flexibilität, denn es gelingt nicht alles nach der Vorstellung und Korrekturen sind nicht möglich. Das Ganze muss als ausgewogenes Bild im Gesamteindruck stimmen, es kommt nicht auf die Genauigkeit einzelner Details an.

Bauwerke und Gebäude, das sind in erster Linie Mauern und Steine, nicht gerade der Stoff eines zarten Aquarells. Erst das Licht formt daraus spannende Malmotive. Licht und Schatten in all ihren Nuancen wollen erkannt und wirkungsvoll umgesetzt werden. Das Foto (Abb. 2) zeigt ein Motiv, das auf den ersten Blick nicht besonders malerisch wirkt, doch es ist ideal um zu demonstrieren, dass ein Aquarell mehr sein kann, als eine detailgetreue Ansicht.

Großzügig lege ich die Farb- und Lichtgrundlage an (Abb. 3). Dies mag etwas abstrakt wirken, denn noch sind keine Kanten und Formen ersichtlich. Auf diese Weise erreiche ich eine Geschlossenheit des massiven Mauerwerks. Im nächsten Schritt (Abb. 4) ist es wichtig, Schattierungen zu vereinfachen und richtig zu setzen. 

Abb. 3: Gerhard Hillmayr: Schrittbeispiel 1

Abb. 4: Gerhard Hillmayr: Schrittbeispiel 2

Dabei achte ich auf die Gesamtwirkung, nicht auf die überprüfbare Genauigkeit der Dinge. Ich arbeite auch hier spontan und ohne Vorzeichnung. Nur im direkten Vergleich zum Original wird erkennbar, dass ich weder Stufen noch Steine korrekt abgezählt habe. Dagegen sind Schattierungen deutlicher herausgearbeitet als in der Natur erkennbar. 

Abb. 5: Gerhard Hillmayr:
Stein auf Stein, 41 x 32 cm

Das fertige Aquarell „Stein auf Stein“ (Abb. 5) scheint nicht wirklich fertig. Einige Bereiche wirken noch sehr grob. Das ist Absicht, um das starre Mauerwerk aufzulockern und den Blick auf die wichtigen Kanten und Bildstellen zu lenken. Außerdem wollte ich die Grundfarbigkeit nicht mit Details überdecken.

Grundsätzlich ist es eine Frage des Anspruchs, der eigenen Vorstellung, wie detailliert ein Aquarell ausgearbeitet sein soll. Speziell bei Architekturmotiven wird man sich der eigenen Toleranzgrenzen schnell bewusst. Man muss sich entscheiden: will man ein überzeugendes Aquarell oder eine wirklichkeitsnahe Abbildung? Durch die Begeisterung über ein tolles Motiv, vergisst man alle guten Vorsätze und verliebt sich in unwichtige Details. Man ist von den Eindrücken fasziniert und möchte diese im Bild auch umsetzen. Von solchen Zwängen befreit man sich am besten, indem man sich eine Vorstellung davon verschafft, wie stark die Elemente eines Motivs reduziert werden können, ohne dass ihre Wirkung auf das Ganze verloren geht. 

Dafür eignen sich Studien und Skizzen in unterschiedlichen Techniken. Die monochrome Pinselzeichnung ist zwar empfehlenswert zur Entwicklung eines spontanen Pinselstrichs und zur Schulung des künstlerischen Sehens. Der Gesamteindruck eines Motivs ist aber nicht zuletzt auch von den Farben abhängig. 

Für solche Studien liebe ich das „Sumi-e“ Papier auf dem ich die Studie „Tarifa“ (Abb. 6) gemalt habe. Es zwingt mich dazu, schnell zu arbeiten und die Dinge extrem zu vereinfachen. Dieses dünne und saugfähige Japanpapier lässt keine Korrekturen zu, auch das Verwaschen der Farbe ist kaum möglich. Jeder Strich muss sitzen und dies beugt der Verspieltheit vor.

Abb. 6: Gerhard Hillmayr: Tarifa, Studie, 24 x 32 cm

Für flächige Passagen nimmt man einen großen Pinsel und viel Farbe. Kanten und Striche erzielt man mit kleinerem Pinsel und konzentrierter Mischung. Es bleibt keine Zeit für Präzision, alles wird auf einfache Pinselsymbole reduziert, Kreativität ist gefordert. Hier zeigt sich, was wirklich wichtig ist und wie großzügig auch ein Architekturmotiv gemalt werden kann.

Mit dieser Erkenntnis und Vorstellung mache ich mich an ein detaillierteres Aquarell „Tarifa“ (Abb. 7). Eine etwas aufwändigere Malweise auf konventionellem, trockenem Aquarellpapier erlaubt es mir, wichtige Formen und deren Kanten präziser zu gestalten. Bewusst arbeite ich ohne Vorzeichnung, um nicht Gefahr zu laufen, die Vorzeichnung auszumalen. Passt ein Gebäude nicht in meine Komposition, lasse ich es einfach weg oder verändere es. Gebäude bestehen zum Teil nur aus einer Farbfläche, ohne Struktur, sie erhalten nicht mehr Aufmerksamkeit als die Stufen oder Steine im Motiv „Stein auf Stein“. Der Schlüssel zur Leichtigkeit bei Architekturmotiven im Aquarell liegt vor allem im Maß der Ausarbeitung und im Weglassen von Details. Egal ob es sich um eine Mauer oder eine Stadtansicht handelt. Würde man jeden Stein, jedes Dach und Fenster malen, wären die tollen Farbpassagen überdeckt, das Ergebnis wäre eine starre und langweilige Ansicht.

Abb. 7: Gerhard Hillmayr: Tarifa, 32 x 41 cm

Zum Schluss nochmals ein Wort zum Thema Zeichnen: Trotz aller Bestrebung nach Großzügigkeit und Spontanität, ohne Zeichenkenntnisse tut man sich schwer, Architektur überzeugend zu vereinfachen. Doch auch Üben kann Spaß machen und sofern man nicht auf fotografisch detailgetreue Ansichten hinarbeitet, ergeben sich gerade bei einem zwanglosen Ansatz oft sehr interessante Ergebnisse.

Gerhard Hillmayr

geb. 1948 in Reutlingen,1985-1987 Dozent an der Freien Kunstschule Ravensburg, danach an verschiedenen Volks- hochschulen, seit 1992 organisiert er individuelle Aquarell-Seminare, Malkurse und Reisen. Seit 1976 Ausstellungen und öffentliche Ankäufe in Kanada, USA, Schweiz und Deutschland. www.hillmayr.com

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