Architektur im Aquarell, Teil 2

Gerhard Hillmayr: Bonnieux, 36 x 48 cm

Dieses Thema ist so umfangreich wie vielseitig, es würde Stoff für viele Artikel bieten. Doch vielleicht ist es auch hier besser, man verfährt nach dem viel propagierten Aquarell-Prinzip „weniger ist mehr“. Bereits im ersten Teil war ich darum bemüht, die unterschiedliche Malweisen kurz und einprägsam herauszuarbeiten. In diesem Teil möchte ich, anhand einiger Beispiele aus der Praxis, das Thema aus künstlerischer Sicht betrachten. Leider wird das Malen oft zu sehr auf die Technik reduziert, indem einfache So-wird’s-gemacht-Lösungen angeboten werden. Malen ist eine kreative Tätigkeit und Lösungen sollten immer von der Künstlerin, vom Künstler bzw. ihren Bildideen ausgehen.

Gerhard Hillmayr

Im letzten Beitrag hatte ich die Bedeutung des handwerklichen Rüstzeugs wie Zeichnen erwähnt; damit man sich jedoch nicht als Gefangener dieser Grenzen wieder findet, sollte man sich seiner Motivation, seiner ursprünglichen Idee besinnen. Auf diese Weise entdeckt man oft überraschend interessante Anregungen zu eindrucksvollen Gestaltungs- und Malansätzen. Das technische Problem löst sich dann oft wie von selbst.

Was heißt, sich an der Bildidee zu orientieren? Bevor man den Pinsel ins Wasser taucht, muss man sich Gedanken darüber machen, was man malen möchte und vor allem, wie man es malen könnte. Kein Mensch beginnt mit dem Schreiben, bevor er sich nicht irgendetwas ausgedacht hat. Im Idealfall drängt sich ein Motiv auf, doch das kann auch verhängnisvoll sein. Allzu leicht beginnt man impulsiv und ohne Plan die Natur zu kopieren, jedes Fenster, jede Kante. Dabei übersieht man das Naheliegende: Wenn uns ein Motiv ins Auge springt, besitzt es offensichtlich gestalterische Qualitäten oder es berührt uns emotional auf irgendeine Weise. Genau darum geht es: dies zu analysieren und herauszufinden, wie man es möglicherweise umsetzen könnte. Die Bildideen sowie Ansätze der Gestaltung können natürlich so unterschiedlich sein, wie die Motive und die Künstler selbst. Doch es gibt Kriterien, die das Malen erleichtern und die Bildwirkung deutlich steigern. Das Schönste dabei ist: es kommt nicht mehr so sehr auf die naturalistisch korrekte Darstellung jedes Gebäudes oder einzelner Details an. Das ist es doch, was wir Aquarellmaler anstreben.

Am Anfang vieler meiner Aquarelle stehen Skizzen mit Bleistift, verwaschbarem Tintenstift oder Aquarellstudien in Schwarzweiß. Hier geht es immer um die Anordnung, die Gliederung der Bildelemente und vor allem um die Gestaltung der Tonwerte. Hell und Dunkel, Licht und Schatten sind das Leben und die Spannung des Aquarells. Dabei versuche ich, meine Idee möglichst interessant herauszuarbeiten und zu gestalten.

Gerhard Hillmayr: Skizze Andalusischer Bauernhof, 15 x 21 cm

Gerhard Hillmayr: Andalusischer Bauernhof, 31 x 41 cm

Beim Motiv „Andalusischer Bauernhof“ fand ich die Verbindung von Architektur und Landschaft malerisch reizvoll. Grenzt man weiße Gebäude zu stark von ihrer Umgebung ab, wirken sie statisch isoliert, ohne Bezug zum restlichen Bild. Weiße Bereiche in der Landschaft dienen der Balance, teilweise gehen sie nahtlos in das Gebäude über und verbinden verschiedene Bildbereiche; es sind Passagen für das Auge. Schattierungen betonen diese Bestrebung, bringen Sonne in dieses südliche Motiv und stehen als Gegengewicht zu den harten Kanten der Architektur. Entscheidend ist der Gesamteindruck dieser Situation, Gebäudedetails sind plötzlich nicht mehr so wichtig.

Gerhard Hillmayr: Skizze Winzerdorf, 24 x 32 cm

Gerhard Hillmayr: Badisches Winzerdorf, 30 x 40 cma

Das zweite Beispiel „Badisches Winzerdorf“ zeigt eine einfache Dorfszene. Spannend und malerisch fand ich die verschachtelten Haus- und Dachformen; auf dieser Idee baute ich das Aquarell auf. Um die klaren Formen zu betonen, nahm ich alle unwichtigen Details zurück oder ließ sie weg. Selbst die Umgebung, Büsche, Berge und Schlagschatten, reduzierte ich auf einfache Formen. Vom ersten Pinselstrich an, war ich um eine großzügige Malweise bemüht, immer mit dem Bewusstsein, dass eine realistische und präzise Ausarbeitung langweilig wirkt. Die S/W-Skizze war gewissermaßen der erste Versuch einer Vereinfachung.

Gerhard Hillmayr: Skizze Fassaden in Roussillon, 24 x 17 cm

Gerhard Hillmayr: Ocker-Fassaden, Roussillon, 40 x 30 cm

Das Aquarell „Ocker-Fassaden, Roussillon“ zeigt eine völlig andere Bildidee. Wie der Titel schon andeutet, geht es hier um ein koloristisches Konzept. Natürlich müssen auch Farben inszeniert werden, um zu wirken. Das heißt, Komplementärkontraste, sowie Helligkeitskontraste müssen gestaltet und herausgearbeitet werden. Unwichtige Gebäudedetails ignorierte ich weitgehend und konzentrierte mich auf wichtige Kanten und Formen, um der Farbe viel Raum und Wirkung zu geben. Die Schwarzweiß-Studie war mir eine wichtige Hilfe bei der Gestaltung meiner Bildidee. Das Motiv ist in transparenter Lasurtechnik gemalt.

Zum Schluss noch ein klassisches Architekturmotiv, das jeden pedantisch veranlagten Aquarellmaler zur Verzweiflung bringen kann. Das Bild stellt dar, was der Titel sagt: „Bonnieux“, ein Dorf eingebettet in eine malerische Umgebung. Genau das war meine Bildidee, nicht die einzelnen Häuser und Details. Ich wagte es sogar, Häuser wegzulassen, zu verfremden oder nur anzudeuten. Mein Bestreben war ein ausgewogener Gesamteindruck. Farben der Landschaft findet man im Dorf und umgekehrt. Da es sich nicht um irgendein Dorf, sondern um Bonnieux in der Provence handelt, waren mir Elemente mit einem gewissen Wiedererkennungswert, wie die Kirche, die markanten Häusergruppierungen und die Hanglage schon wichtig. Die Berge im Hintergrund, sowie die Zypressen im Vordergrund, schaffen die räumliche Wirkung und relativieren die großzügig gemalten Gebäude. Die gestalterische Präferenz des Gesamteindrucks erlaubte es mir, architektonische Details sehr großzügig zu behandeln.

Gerhard Hillmayr: Bonnieux, 36 x 48 cm

Die Beispiele geben Einblicke in meine gestalterischen Überlegungen und mir ist durchaus bewusst, dass diese von Künstler zu Künstler ganz anders aussehen können. Ich hoffe jedoch, dass sie als Anreiz dienen eigene Lösungen zu suchen, zu experimentieren, um nicht den Reiz des Aquarells zu Gunsten einer naturgetreuen Abbildung zu opfern.

Gerhard Hillmayr

geb. 1948 in Reutlingen,1985-1987 Dozent an der Freien Kunstschule Ravensburg, danach an verschiedenen Volks- hochschulen, seit 1992 organisiert er individuelle Aquarell-Seminare, Malkurse und Reisen. Seit 1976 Ausstellungen und öffentliche Ankäufe in Kanada, USA, Schweiz und Deutschland. www.hillmayr.com

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