Architektur im Aquarell, Teil 3

Gerhard Hillmayr: Civitella, 30 x 40 cm

Im letzten Teil ging es darum, sich mit Hilfe einer gestalterischen Idee vom Zwang der naturalistischen Darstellung zu lösen. Um Ziele zu erreichen, muss man manchmal ungewohnte, wenn nicht sogar gewagte Wege gehen. „Wer wagt, gewinnt“, mit diesem Sprichwort ist man auf dem besten Weg zu mehr Großzügigkeit beim Malen des Architekturmotivs. Zeichenkenntnisse und Perspektivlehre sind eine gute Grundlage, aber kein Garant für interessante Aquarelle. Experimentieren statt konstruieren ist angesagt. Letzteres überlassen wir dem Architekturbüro, wir sind keinem Bauherren verpflichtet. Zum Experimentieren dagegen lade ich Sie nicht nur ein, ich fordere Sie in meinem heutigen Beitrag geradezu auf, Risiken einzugehen. Unsere Aquarell-äuser müssen von keinem Statiker überprüft werden und falls wir mit dem Ergebnis nicht zufrieden sind, nehmen wir ein neues Blatt.

Gerhard Hillmayr

Wie mein Beitrag zeigt, ist nicht einmal ein besonderer Aufwand für die Motivsuche erforderlich. Ein beliebter und bequemer Malplatz am Ferienort oder zu Hause reicht aus, um Inspiration für eine ganze Reihe von kreativen Aquarellen zu finden. Auch ältere Skizzen und Studien kann man hervorholen, um neue Wege der Umsetzung zu wagen. Gute Aquarelle entstehen nicht spontan aus dem Bauch heraus, und viele Motive gelingen nicht auf Anhieb. Jede Malerin und jeder Maler muss sein Motiv und seinen Weg der Umsetzung suchen. Das perfekte Motiv kann man nicht finden, man muss es gestalten, daran arbeiten. Ohne gestalterische Idee, ohne Skizze einfach drauf los zu malen ist vergleichbar mit einer Autofahrt ohne Ziel. Man kennt es aus vielen Beispielen der Kunstgeschichte, Künstler haben über mehrere Jahre an derselben Idee, am selben Motiv gearbeitet. Was für sie gut war, sollte nachahmenswert sein. Mit meinem Artikel möchte ich Sie auffordern, das zu tun. Alle Beispiele hier sind auf unterschiedlichste Art und Weise über einen Zeitraum von mehreren Jahren entstanden.

Abb. 1: Civitella, sonnig, Foto:  Gerhard Hillmay:

Abb. 2: Civitella, bewölkt, Foto: Gerhard Hillmayr

„Civitella, sonnig“ und „Civitella, bewölkt“ sind Schnappschüsse einer typischen Burgsiedlung wie man sie in Mittelitalien häufig findet. Meine Liebe zum Wein brachte mich erstmals an diesen Ort und es folgten weitere Besuche mit Malgruppen. Wie die Sonneneinstrahlung Architekturmotive verändert, ist bei diesen Aufnahmen zu sehen. Es ergeben sich verschiedene Motivsituationen, die zu gestalterischen Experimenten anregen. Nach diversen Skizzen, atem(be)raubenden Rundgängen und einer inneren Annäherung, entschied ich mich zu einer sehr direkten Umsetzung.

Abb. 3: Gerhard Hillmayr: Civitella, 30 x 40 cm

Das Aquarell „Civitella“ malte ich vor Ort. Mit einem Flachpinsel setzte ich Strich an Strich, ohne Vorzeichnung. Weitgehend ohne Korrekturen und Überarbeitungen sollte jeder dieser Pinselstriche als Teil des Ganzen wirken. In meiner Bildidee wollte ich den Charakter der blockartig verschachtelten Siedlung durch die puzzleähnliche Gestaltung zum Ausdruck bringen. Die mächtige Burg, die Farbe der Mauern sowie Licht und Schatten waren eine Herausforderung.

Ein Jahr später, wieder vor Ort, suchte ich ein geeignetes Konzept. Hochformat und bildfüllender Ausschnitt kamen meiner Vorstellung entgegen. Mithilfe diverser Bleistiftskizzen testete ich verschiedene Lösungen: Ein interessanter Ausschnitt musste gefunden und viele Gebäude- und Schattenformen vereinfacht werden. Das Problem der schnell wechselnden Lichtverhältnisse war damit ebenfalls gelöst.

Abb. 4: Gerhard Hillmayr: Tonwertstudie 1, 10 x 16 cm

Abb. 5: Gerhard Hillmayr: Il Castello, 41 x 32 cma

Die „Tonwertstudie 1″ diente mir als Grundlage für mein nächstes Experiment. Weniger auf Genauigkeit und Details achtend, orientierte ich mich mal an der Skizze, aber auch an den Farben und Formen der Natur. Ohne Vorzeichnung legte ich mit einem großen Rundpinsel lebendige Farbflächen des Aquarells „Il Castello“ an. Mit schnellem Strich kamen großzügige Details und Akzente dazu. Das gesamte Bild malte ich mit demselben Pinsel, um einer filigranen Ausarbeitung vorzubeugen. Achtet man hier zu sehr auf Proportionen und Perspektive, geht das unwillkürlich zu Lasten der malerischen Leichtigkeit.

Abb. 6: Gerhard Hillmayr: Tonwertstudie 2, 10 x 12 cm

Beim Skizzieren entwickelt man Ideen für die Bildgestaltung und macht sich Gedanken zur technischen Umsetzung, gleichzeitig geben Skizzen Orientierung und Sicherheit für freies und experimentelles Malen. Doch das ist nicht alles; das Skizzenbuch ist eine wertvolle Fundgrube für kreative Experimente. Jede Reise geht zu Ende und die meiste Zeit zum Malen findet man in der Regel zu Hause, aber man hat nicht immer Lust auf Stillleben oder Fotos. Das ist die Gelegenheit, kreativ zu sein, riskieren statt konstruieren, nach Lust und Laune. Wenn ich zu Hause entspannt malen möchte, oder für eine Vorführung eingeladen bin, dann hole ich meine Skizzenbücher hervor. Hier habe ich keine detaillierte Ansichten oder Gebäude, denen ich mich verpflichtet fühle. Es sind Bildideen, Kompositionen, die kreativen Raum zum Experimentieren lassen. Fehlende Details kann, beziehungsweise muss ich erfinden. Soll es dazu noch schnell gehen, wenn beispielsweise jemand zuschaut, dann greife ich intuitiv in die Farben und wage alles. Solange ich mich am Grundkonzept der Studie orientiere, hält sich das Risiko in Grenzen. Die „Tonwertstudie 2″ ist Ausgangspunkt und Vorlage für die beiden letzten Beispiele.

Bei „La Fortezza 1″ handelt es sich um eine kleinere Pinselzeichnung, ausschließlich mit einem Rundpinsel Größe 14 gemalt. Für „La Fortezza 2″ verwendete ich Flachpinsel der Größe 20 und 40, um den blockartigen Charakter der Festung zu betonen. Wenn man ohne Vorzeichnung arbeitet, ist es nicht zu vermeiden, dass sich die Proportionen der Gebäude von einem zum anderen Motiv unterscheiden. Der Charakter des Motivs, der subjektive Eindruck ist wichtig, ansonsten müsste man wirklich mit einer Konstruktionszeichnung beginnen, und genau davon wollen wir ja weg.

Abb. 7:Gerhard Hillmayr: La Fortezza 1, 36 x 26 cm

Abb. 8: Gerhard Hillmayr: La Fortezza 2, 45,5 x 30,5 cm

Vielleicht habe ich Sie motiviert, Architekturmotive etwas freier zu wagen, ich würde mich freuen. Aber bitte vergessen Sie das Skizzieren nicht und denken Sie daran: Malerische Leichtigkeit erfordert etwas Übung und Mut, aber keine Konstruktionszeichnung auf dem Aquarellpapier.

Gerhard Hillmayr

geb. 1948 in Reutlingen,1985-1987 Dozent an der Freien Kunstschule Ravensburg, danach an verschiedenen Volks- hochschulen, seit 1992 organisiert er individuelle Aquarell-Seminare, Malkurse und Reisen. Seit 1976 Ausstellungen und öffentliche Ankäufe in Kanada, USA, Schweiz und Deutschland. www.hillmayr.com

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