Das Bild in meinem Kopf: Interview mit Thomas Möser

Thomas Möser: Morning in Manhattan, Aquarell, 56 x 76 cm

Thomas Herrmann traf sich für die palette mit Thomas Möser. Die Namensvetter sprachen übr Mösers Arbeitsweise und Bildwelt.

Thomas Herrmann: Als Vermittler von Kunst lerne ich die Menschen kennen, die Ihre Bilder schätzen und auch erwerben. Viele sind fasziniert von dieser träumerischen Art und fühlen sich im Herzen berührt – wie entstehen diese Bilder?

Thomas Möser: Es gibt verschiedene Wege, zum Bild zu kommen und doch treffen sich alle an einer Stelle: der Idee. Am Anfang kann es ein Detail aus meiner Umgebung sein, eine Wolke, ein Fleck auf alten Fliesen, das die Idee auslöst. Es kann auch ein Musikstück, eine Szene aus einem Film oder Buch, also alles Mögliche sein. Und gerne lasse ich mir Titel einfallen, zu welchen ich dann ein Bild erfinde. Ich habe Skizzenbücher voller Titel. Manche brauchen Jahre, bis sie ein Bild werden, manche werden es wohl nie. Die Gemeinsamkeit all der Vorarbeiten ist, dass ich ohne eine Idee, wie das Bild aussehen könnte, nicht anfange.

Thomas Möser: Fliegende Bücher, Aquatintaradierung, 64 x 56 cm

Thomas Herrmann: Haben Sie zu Beginn Ihrer Arbeit das fertige Bild bereits vor Augen?

Thomas Möser: Nun, Michelangelo hat wohl mal gesagt, er sehe die fertige Form schon im Marmorblock und entferne nur den überflüssigen Stein. Ganz so funktioniert es bei mir leider nicht; meist sehe ich das Bild zuerst „verschwommen“. Es ist mehr eine neblige Ahnung als eine genaue fotografische Ansicht. Die ersten Skizzen sind ebenfalls schemenhaft und werden dann immer deutlicher, aber irgendwann sehe ich das Bild ziemlich klar vor dem inneren Auge und die Skizzen werden zu einem konkreten Entwurf. Dinge „unscharf“ anzuschauen, ist übrigens auch ein wunderbarer Weg, das Zeichnen zu lernen. In dieser ersten Phase ist es wichtig, eine starke Idee zu haben, sie trägt einen in dieser Zeit des Suchens. Eine starke Idee ist es dann, wenn sie mich packt und begeistert.

Thomas Herrmann: Aber woher kommen die Ideen?

Thomas Möser: Ich kann mir alles Mögliche gut vorstellen. Auch Dinge, die ich vielleicht noch nie gesehen habe. Und oft kommen Ideen beim Tagträumen oder morgens im Halbschlaf. Das ist für mich eine wichtige kreative Zeit. Man taucht aus der Traumwelt auf, der Verstand schlummert noch, aber andere Teile unseres Denkens sind schon aktiv. Einmal hatte ich einen Traum, bei dem ich im Atelier saß und vor mir lag ein Stapel Bilder – alle fertig und eines schöner als das andere. Ich blätterte jedes Blatt um und war jedes Mal aufs Neue entzückt von dem darunterliegenden. Beim Aufwachen konnte ich mich dann nicht mehr an bestimmte Darstellungen erinnern, aber sehr wohl noch an das Gefühl dabei und dieses Gefühl suche ich immer, wenn ich male.

Thomas Möser: Sternenwanderer, Aquatintaradierung, 36 x 65 cm

Thomas Herrmann: Macht Malen glücklich?

Thomas Möser: Wenn ich irgendetwas sehe, erträume oder mir ein Bildtitel einfällt, der sich gut anfühlt, also sagt: „Aus mir kannst Du ein schönes Bild machen.“, dann ist das sicher ein glücklicher Moment. Den braucht es auch, da es ein langer Weg von der Idee bis zum fertigen Bild ist. Und gerade bei der Radierung, die wochenlang dauert, kommen schon frustrierende Momente, in denen ich mich frage: „Was mache ich da eigentlich?“ Doch wenn das Bild gelungen ist, ist das ein sehr schönes Gefühl und noch mehr, wenn jemand das Bild betrachtet und dann Glück empfindet. Ein Kritiker hat mal geschrieben, als er in einer Ausstellung meine Bilder gesehen hat, dass es für ihn war, als ob er nach Hause gekommen ist. Ich glaube, dafür mache ich es.

Thomas Herrmann: Manche Bildtitel assoziieren Buchtitel und Sie bearbeiten oft das Thema „Buch“, das kann keine Zufälligkeit sein. Wo ist der Zusammenhang?

Thomas Möser: Bücher sind ein faszinierendes Sujet. Sie bestehen aus einem bisschen Papier und Druckfarbe, aber schlägt man sie auf und beginnt zu lesen, kann eine ganze Welt in deinem Kopf entstehen. Und erst der Leser macht aus den schwarzen Strukturen auf weißem Papier Wörter, Sätze und Geschichten und dann hebt er ab in eine andere Welt, die doch seine eigene ist. Beim Bilderbetrachten kann ganz Ähnliches geschehen; das haben wohl Bücher und Bilder gemeinsam. Die Radierung „Metamorphose“ stellt dieses kleine Wunder des Lesens dar – aus einem geöffneten Buch und flatternden Buchseiten entfaltet sich ein Schmetterling. Bei der Musik übrigens auch: Erst der Zuhörer macht aus Schallwellen eine Sonate Beethovens oder Mozarts „Zauberflöte“.

Thomas Möser: Metamorphose, Aquatintaradierung, 24 x 24 cm

Thomas Herrmann: Heißt das, dass erst der Zuhörer die Musik oder der Betrachter die Kunst entstehen lässt?

Thomas Möser: Ja, allerdings, doch natürlich muss das Werk die Qualität bereits in sich tragen, bevor sie sich im Betrachter oder Zuhörer entfalten kann.

Thomas Herrmann: Inwieweit ist das Lehren von Kunst wichtig für Sie?

Thomas Möser: Es hat mir schon immer viel Freude bereitet, anderen Menschen Kunst und ihre Techniken zu vermitteln. Es ist auch schön, das Erlebte zu teilen. Demnächst habe ich die Möglichkeit hier in der „palette“ mehr Einblicke in meine Arbeitsweise zu geben.

Thomas Herrmann: Ihre Bilder sind häufig extreme Querformate, beispielsweise der Zyklus „Wanderer“, der sich wie ein roter Faden durch Ihr Schaffen zieht. Wann hat dieser Zyklus begonnen und wo führt er noch hin?

Thomas Möser: Er begann früh: Meine erste gelungene Radierung war ein Zug, der sich auf einer Linie bewegte, das war die „Cabriobahn“ von 1986. Danach kam „Wanderer – kommst Du?“ – abstrakte Figuren tanzen hintereinander auf ein unsichtbares Ziel zu. Da ich in meinen Bildern gern eine Art Geschichte erzähle, habe ich damals wohl intuitiv dieses Format gewählt, weil man beim Betrachten mehr von der einen zur anderen Seite schaut, als das Ganze gleichzeitig zu erfassen. Also habe ich das Ganze auf eine Art Bühne mit kleinen Szenen gestellt, die sich wie bei einem Film aneinanderreihen. Es ist eine ganze Reihe entstanden und das längste Bild dieser Art war fast einen Meter breit und nur 10 cm hoch. Mir fällt dazu ein: Als Jugendlicher war ich zwei Jahre an einem Stadttheater im Ballett-Ensemble – für mich damals eine faszinierende Zeit – vielleicht hat mich auch diese Bühnenerfahrung dazu angeregt.

Thomas Möser: Klassiker, Aquatintaradierung, 36 x 65 cm

Thomas Herrmann: Wenn ich an Ihre „Caféhaus-Motive“ denke, in denen Sie real existierende, aber auch fiktive Cafés darstellen, könnte man Ihre Arbeitsweise auch mit Inszenieren beschreiben?

Thomas Möser: Ja, das „in Szene setzen“ trifft es gut.

Thomas Herrmann: Sie werden oft als Meister der Radierung bezeichnet. Worin liegt die große Faszination dieser Kunstform für Sie?

Thomas Möser: Zuerst im zeichnerischen Element, alles beginnt mit einer Linie. Die Feinheit und die Darstellung im Detail sind mit keiner anderen Technik zu erreichen. Das Arbeiten auf der Kupferplatte bedarf einer genauen Vorbereitung. Man komponiert und skizziert, geht dann den handwerklichen Weg und das Ergebnis ist dann trotzdem immer eine Überraschung – gelungen oder auch nicht. Der Entstehungsprozess der Radierung ist langwierig, aber am Ende bleiben die vielen Arbeitsschritte nicht verborgen – in einem einzigen Moment erscheinen sie wieder – im Druck.

Thomas Möser: Traumfischer, Aquatintaradierung, 24 x 24 cm

Thomas Herrmann: Wenn ich an Ihre „Caféhaus-Motive“ denke, in denen Sie real existierende, aber auch fiktive Cafés darstellen, könnte man Ihre Arbeitsweise auch mit Inszenieren beschreiben?

Thomas Möser: Ja, das „in Szene setzen“ trifft es gut.

Thomas Herrmann: Sie werden oft als Meister der Radierung bezeichnet. Worin liegt die große Faszination dieser Kunstform für Sie?

Thomas Möser: Zuerst im zeichnerischen Element, alles beginnt mit einer Linie. Die Feinheit und die Darstellung im Detail sind mit keiner anderen Technik zu erreichen. Das Arbeiten auf der Kupferplatte bedarf einer genauen Vorbereitung. Man komponiert und skizziert, geht dann den handwerklichen Weg und das Ergebnis ist dann trotzdem immer eine Überraschung – gelungen oder auch nicht. Der Entstehungsprozess der Radierung ist langwierig, aber am Ende bleiben die vielen Arbeitsschritte nicht verborgen – in einem einzigen Moment erscheinen sie wieder – im Druck.

Thomas Möser: Cafe de Flore, Aquatintaradierung, 38 x 54 cm

Thomas Herrmann: Noch einmal zurück zum Anfang, zu Ihren Bildtiteln. Der „Sternwanderer“ von 2004 ist heute ein sehr gesuchtes Blatt. Sie haben die Idee aber bereits 1998 skizziert. Es ist auch ein Filmtitel von 2007, war das eine Vorahnung? (Anm. d. Red.: Im Jahr 1998 erschien das Buch „Stardust“ von Neil Gaiman, das 2000 erstmalig unter dem Titel „Sternwanderer“ in Deutschland veröffentlicht wurde und 2007 als Vorlage für den gleichnamigen Film diente)

Thomas Möser: Ich glaube, dass Ideen ihre eigene Zeit und Raum haben, d.h., dass zu einer bestimmten Zeit eine Idee einfach entsteht, vielleicht weil die Zeit dafür gekommen ist. So kann die gleiche Idee zur selben Zeit an verschiedenen Orten in ähnlichen Formen entstehen. Anderen Kreativen geht es oft genauso. Meiner Meinung nach ist man als kreativer Mensch nicht so sehr der Urheber einer Idee, als das Medium, durch das sich eine Idee realisiert. Deswegen kann man sie auch nicht einfach nach Rezept zusammenbauen oder auf Wunsch hervorzaubern, sondern man muss entweder geduldig auf sie warten – das kann dauern- oder noch besser: Sich auf den Weg machen und sie suchen. Also umherwandern und sie in den verschiedensten Welten suchen – Reisen. Diese Reise kann eine reale sein oder in der Vorstellung. Auch während des Bildermachens selbst ist man oft auf einer Reise. Jeder, der intensiv malt, kennt das. Die Idee oder die Vorstellung ist zwar da, aber ihre Form noch nicht gefunden. So passiert das Wandern entweder im Kopf oder auf der Leinwand – meist beides – dialogisch. Dabei ist es egal, ob man gegenständlich oder ungegenständlich malt. Der Maler könnte man sagen, ist wie ein Weltenwanderer – was für ein schöner Titel für ein Bild!

Thomas Möser

Thomas Möser ist in der Kunstszene für seine fein gearbeiteten Radierungen und Aquarelle bekannt. Er hat einen eigenen Stil geprägt; zu seinen Vorlieben gehören Arbeiten mit erzählerischem und metaphorischem Inhalt, die Bildsprache ist verspielt und detailliert. Die Bildtitel verraten eine poetische Leidenschaft und assoziieren eine verträumte heile Welt: Wüstenwanderer, Sternenstaub, Bolero, kleiner Prinz, Ex Libris, um nur einige zu nennen.

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