Günther Reil über Action-Painting

Action-Painting ist für mich ein Malduktus der gestischen Action und muss nicht immer eine zuordnende Deutung des Bildinhalts enthalten. Also eine befreiende, impulsive Spontanmalerei, die der seelischen Stimmung gut tut, solange diese nicht zu sehr mit hoher Konzentration an Genauigkeit und Vorplanung gebunden ist. Ich arbeite dazu an vornehmlich großen Formaten, was natürlich auch einen ausdauernden und anstrengenden Körpereinsatz erfordert. So entstehen dabei meist informelle Arbeiten, manchmal auch mit einem Anklang von Symbolik.

von Günther Reil (Text und Bilder)

Je mehr Wunschvorstellungen eingebracht werden, desto schwieriger ist es, ein ersehnt „gutes“ Ziel zu erreichen. Entstandene Fehler kosten zusätzliche Energie, die dann als negative Einstellung zur eigenen künstlerischen Arbeit sehr schnell in Frust enden können. Dann leiden nicht nur die Gedanken an der misslungenen Tat, sondern auch rückwirkend, das Bild als Spiegel der eigenen Befindlichkeit.

Burning Desert, 2003

Bei einer Gemäldeserie im Januar 2003 mit dem Titel „Burning Desert“ übergoss ich etwa 20 Acrylgemälde mit brennbarem Aceton, die in einem Schneefeld ausgelegt wurden. Nach dem Anzünden fingen die bemalten Oberflächen an, sich langsam in der Hitze der Flammen zu verschmoren. Kurz vor dem Durchbrennen der Leinwände löschte ich die brennenden Gemälde unaufhörlich mit dem pulvrigen Schnee. Diese beabsichtigte Aktion war unberechenbar und erbrachte ein Ergebnis, an dem ich anschließend ebenfalls „Action-Painting improvisiert“ mit weiteren Überraschungen weiterarbeiten konnte.

In kräftigen Farben, mit rauen Strukturen und überraschenden Kompositionen werden sinnliche Botschaften vermittelt. Diese Arbeiten sind farbige Explosionen. Immer mit Plan und voller Geschichten zum Thema, fließt der Gedanke über die Hand spontan auf die Leinwand. Aus unterbewussten Gedanken werden Formen ans Licht getragen, wobei die Zeit dabei nicht zu existieren scheint.

Ist Malerei etwa ein Festhalten der Zeit? Der Augenblick ist das Entscheidende, er ist die Existenz, das bewusste Leben. Durch die zusätzliche haptische Wirkung in den Strukturbildern, knallt die Farbe nur so vor Emotionalität. Und wenn die inhaltliche Geschichte hinzukommt, wird manche Form konkrete Botschaft.

Burning Desert, 2003

Durch die reale Wahrnehmung der Dinge vor Ort, entstehen Gedankenbilder von so unterschiedlicher Art, dass es geradezu ein Muss ist, diese verschiedenen kleinen Anregungen festzuhalten. Absichtlich provozierte Konfrontationen aus dem Inneren wollen diese persönlichen Formen sichtbar machen. Der kreative Prozess endet nach der Tat schließlich im fertigen Werk. Wobei der Weg und das Tun dorthin, die eigentliche Erfüllung ist. Wechselnde Sinneseindrücke fordern neue Entscheidungen. Neue Arbeitsschritte folgen, die wieder neue Auseinandersetzungen fordern. Das Erkennen des Wesentlichen stellt sich durch das Zulassen der eigenen Fantasie ein.

Die Spannung der Langeweile macht den kreativen Befreiungsakt aus. So entstehen Bilder wie Landkarten, wie Seelenlandschaften mit eigenartigen Offenbarungen.

Alpen-Freiluft-Atelier, 2009

Als mich im Sommer 2008 der Leiter der Akademie Wildkogel, Stephan Nitzl, anrief, und fragte, ob ich Interesse daran hätte, Pfingsten 2009 ein „Special-Action-Painting“ am Wildkogelhaus, in 2005 m Höhe, zu veranstalten, sagte ich spontan zu. Nachdem mir Stephan Nitzl erklärte, worum es ging, nämlich um ein „Helikopter-Painting“, machte ich mir sofort viele Gedanken und Notizen über den möglichen Ablauf.

Nach einjähriger Vorplanung und Besprechungen, mit vielen Fach- und Werbefirmen, Sponsoren und Behörden, fand am Sonntag den 31.05.2009 um 13 Uhr die spektakuläre Kunst-Aktion „Helikopter-Painting“ statt.

Das Alpen-Freiluft-Atelier, eine stabile Holzkonstruktion von ca. 12 x 8 m Größe als Plattform, wurde Tage vorher von einer Zimmerei, oberhalb des Wildkogelhauses an der schrägen Hanglage erbaut. Auf diese Bühne wurden 48 Leinwände von je 80 x 100 cm fest verschraubt, daneben eine „Farben-Bar“ mit Farbpumpflaschen und Farbfässern errichtet. Kurz vor der Veranstaltung fand die letzte Besprechung mit dem Helikoptereinweiser am Boden und mit meinen beiden Assistenten und mir statt. Die Feuerwehr sperrte das Gelände weiträumig ab, und es erfolgten begleitende Durchsagen über Außenlautsprecher für das Publikum. Ich kleidete mich in einen Schutzanzug, denn vor Beginn fand auch noch ein Rotorblätter-Sogtest statt, um die Mengenverteilung beim späteren Farbauftrag zu überprüfen.

Alpen-Freiluft-Atelier, 2009: Farbauftrag mit Pump- und Sprühflaschen

Nun konnte es endlich losgehen. Die Spannung wuchs! Kurz vor Beginn öffneten sich die Wolken, die Sonne strahlte auf die noch vereinzelten Schneeflächen in den Hängen. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich der Helikopter hinter einer Bergkuppe hervor, drehte eine schnelle Runde um den Malplatz, um dann in taumelnd, schwebender Stellung über der noch unberührten Riesenleinwand und uns wartenden Malakteuren zu verharren.

Meine beiden Assistenten begannen mit dem Besprühen der Leinwände mit verdünnter gelber Farbe aus den großen Pumpflaschen, und ich selbst spritzte rote Farbe aus Kunststoffflaschen mit Spritzdüsen. Sich um die eigene Achse drehend und wippend erzeugte der Helikopterpilot einen gewaltigen Sog unter sich, der die Farbverteilung mit übernahm. Wie im Rausch schritten wir taumelnd durch einen meterhohen Farbnebel. Es fühlte sich an, als befänden wir uns in einer gewaltigen Meeresbrandung. In kurzer Zeit entstand auf der gesamten Leinwand ein durchaus berechenbares marmoriertes Farbmuster. Dann drehte der Helikopter ab und verschwand hinter den Hügeln. Das Publikum wartete mit Spannung, was noch folgen würde…

Unerwartet tauchte der Helikopter wieder auf. Das Publikum staunte! Denn an einem 16 Meter langen Stahlseil hing ein überdimensionaler Flachpinsel – 150 kg schwer und 3 m lang! Der Helikopter drehte eine Ehrenrunde, um dann den Pinsel sanft an der „Farbenbar“ abzulegen. Unter Anleitung des Helikoptereinweisers am Boden, der per Helmmikrofon mit dem Piloten verbunden war, tauchten meine Assistenten die langen Pinselhaare in die mit Rot und Gelb befüllten Farbwannen. Dann erhob sich der Pinsel sacht und begann langsam, wie von selbst auf der Leinwand zu malen. Eine ein Meter breite Farbspur zog sich auf die Mitte des Bildes zu, der Pinsel schien sich zu bewegen, wie eine Marionette. Ich bewegte mich auf das, wie von Geisterhand geführte, Riesenmalgerät zu, und es entstand ein ballettartiger Tanz zwischen mir und dem Pinsel. Auf der sich, von der besprühten, noch nassen, spiegelnden, Untergrundfarbe zog der magische Pinsel in bedächtig drehenden Pirouetten seine Farbbahnen. Dem Rhythmus angepasst schoss ich tänzelnd dicke Farbstrahlen aus den Farbflaschen. Im Nachhinein betrachtet, glich dieses Schauspiel einer Ballettaufführung, die den Namen „Brushdance“ tragen könnte.

Alpen-Freiluft-Atelier 2009: der 160-Kilo-Pinsel

Nachdem unser „Tanz“ beendet war, klinkten meine Assistenten den Pinsel neben der Plattform aus und legten ihn ab. Der Helikopter landete in Sichtweite. Nun konnten die Zuschauer an den Bildrand kommen, um aus nächster Nähe den Abschluss dieser Veranstaltung mitzuerleben.

Ich war in meinem Element! Immer noch berauscht von dem Tanz mit dem Riesenpinsel, spritzte ich die mit Düsen bestückten Farbflaschen gezielt über die Leinwand – meterweit und dorthin, wo sie eine harmonische Komposition bildeten. Rückwärts, über meinen Kopf schleuderte ich die Farbe. Zuletzt zog ich mit einem 4 m langen Teleskop-Pinsel einige Flächen ineinander und vollendete mit blindem „Rückwärtspainting“ das Gemälde mit dem Titel: „Brushdance in the Colour-Rain“ (Pinseltanz im Farbenregen) – das wohl größte Acrylgemälde, das je in einer Höhe von 2005 m entstanden ist.

Alpen-Freiluft-Atelier, 2009: der Teleskop-Pinsel

Auf der großen, sonnigen Terrasse des Wildkogelhauses, spielte live und traditionell alpenländische Musik. Nach etwa einer Stunde wurden die trockenen Bilder abmontiert und zu Gunsten behinderter Kinder, einer Hilfseinrichtung von Neukirchen und Umgebung, versteigert. Zusätzlich fanden den ganzen Nachmittag Rundflüge mit dem Helikopter durch die atemberaubende Gegend rund um den Wildkogel statt. Für mich ein Erlebnis und Ereignis der besonderen Art!

Günther Reil

geb. 1955 in Schrobenhausen, seit 1992 Autor und Seminarleiter für Zeichnen, Aquarell und experimentelle Acryl-Malerei, aktives Mitglied in der Innviertler Künstlergilde. www.guenther-reil.com

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